Theateraufführung "Stolz und Vorurteil"
Rauschende Roben und tränende Herzen
Der diesjährige Literatur- und Theaterkurs am JKG unterhält das Publikum humorvoll mit Liebesfrust und Liebeslust samt allerlei Irrungen und Wirrungen.
Von Doris Alice Caumanns
Er gehört zu den meisterhaften Romananfängen - der berühmte erste Satz des Romans "Stolz und Vorurteil" von Jane Austen (1775-1817): "Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle im Besitz eines schönen Vermögens nichts dringender braucht als eine Frau."
Und so begibt sich Mr. Bingley (Luis Scheltdorf) auf Brautschau, was wiederum Mr. und Mrs. Bennett (Ludwig Essig, Marie-Sophie Spanic) gerade recht kommt, denn sie haben sage und schreibe vier hübsche (aber wegen des Erbrechts in England um 1800 besitzlose) Töchter an den (möglichst vermögenden) Ehe-Mann zu bringen.
In Wahrheit sucht also nicht der vermögende Junggeselle, sondern das junge Mädchen im heiratsfähigen Alter, denn sie muss irgendwie "versorgt" werden.
Dieser ironische Kopfstand ist für den unterhaltsamen Theaterabend im JKG am Dienstagabend charakteristisch, denn wer glaubt, mit dem Sujet "Vater muss Töchter unter die Haube bringen", könne man im Zeitalter 4.0 keinen digitalisierten Hund mehr hinterm klimafreundlichen Ofen hervorlocken, der kennt die pfiffigen Schüler und Schülerinnen des diesjährigen Literatur- und Theaterkurses nicht!
Aus unterschiedlichen Perspektiven und mehrfach ironisch gebrochen, bieten sie dem Publikum unter der Leitung von Sandra Caumanns und mit dem Jazzchor von Anja Wegner einenTheaterabend mit Witz und Esprit.
Da ist neben dem umgänglichen Mr. Bingley als Kontrastfigur der eher schroffe und unnahbare Mr. Darcy (Tim Erhardt), sowie Mr. Collins (Nick Griesheimer) und Mr. Wickham (Ingvar-Björn Schmidt).
Auf der weiblichen Seite die hübschen Töchter der Familie Bennett in rauschenden Roben: Jane (Giulia Bamberger), Lizzy (Sophia van Steinburg, Hannah Gäckle), Kitty (Sophia Chatzilouka) und Lydia (Elpida Chatzilouka).
Dazu verfolgen Charlotte, Lizzys Freundin (Nanine Hassler) und die beiden Schwestern von Bingley Caroline (Maja Welzel) und Louisa (Anna-Lina Merk), sowie Mrs.Lucas (Emily Käfer) und Mrs. der Bourgh (Deena Kohlmann) das Geschehen aus ihrer eigenen Perspektive und mit eigenen Interessen.
Und dann ist da auch noch die Dienstmagd Jane (Johanna Nippa), die aus dem Blickwinkel "von unten"
die "bessere Gesellschaft" und deren "geschraubte Rede" kritisiert.
Das Geschehen auf der Bühne ist eingebettet in eine Rahmenhandlung: drei junge Mädchen unserer Gegenwart (Jana van Riesen, Charlotte Röck, Jasmin Kensington) chillen auf dem Sofa - mit Popcorn bestens versorgt - und sehen sich den Film "Stolz und Vorurteil" (2005) gemeinsam an.
Dabei interpretieren und kommentieren sie das Verhalten der Figuren und reflektieren Unterschiede zwischen der britischen Gesellschaft an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert und unserer heutigen Welt, besonders auch im Hinblick auf das jeweilige Rollenbild der Frau.
Aus dem "Off" tritt die Autorin Jane Austen (Annika Thielen, Dimitra Tsatsa) persönlich auf und erläutert auktorial die Handlung.
Diese mehrfachen, auch ironischen Brechungen sowie der deutliche Kontrast zwischen der heutigen Sprache ("das geht mir auf den Zeiger!") und den stilvollen Formulierungen der Zeit um 1800 ("Sie müssen mir gestatten, Ihnen zu sagen, wie glühend ich Sie verehre und liebe!") wirken als inspirierender Appell an den Zuschauer, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Die liebevoll gestaltete Inszenierung sprüht vor Einfällen, Witz und Intelligenz: Das Bühnenbild - mit verschiedenen Spiel-Räumen - wird ergänzt durch Videos von Salon, Ballsaal oder Park.
Aber auch schon damals lebte man "in a rich man's world", wie es im ABBA-Song des Jazzchors unter Leitung von Anja Wegner heißt, und der mit "Money, Money" oder "Time of my life" aus dem Film "Dirty Dancing" den Soundtrack zum Theaterstück liefert.
Auch ein stilechtes, zartes Menuett wird getanzt ebenso wie ein rassiger Samba.
Die Stimmung im Publikum steigt, als Tim Erhardt als Mr. Darcy den Matthias-Reim-Ohrwurm "Verdammt ich lieb' dich" mit der rauchigen Stimme des Originals schmettert, begleitet von jungen Männern an Biertischen, so dass es immer wieder Szenenapplaus gibt.
Der Roman "Stolz und Vorurteil" der britischen Autorin Jane Austin - vielfach für Film und Fernsehen bearbeitet und sogar als Musical aufgeführt - auf dem die Bühnenfassung von Edmund Linden beruht, ist 1813 veröffentlicht worden und ist nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern auch ein Gesellschaftsroman, der die strengen Regeln und starren Gepflogenheiten der damaligen Zeit spiegelt, wie es die Romane von Theodor Fontane im späten 19. Jahrhundert in Deutschland getan haben.
Die Verknüpfung von menschlichen Charaktereigenschaften, wie Stolz, Neid, Eifersucht - aber auch die Sehnsucht nach Liebe - mit Themen, wie ökonomische Sicherheit (für Frauen) und Standesschranken machen die literarische Besonderheit des Romans aus.
Die Stellvertretende Schulleiterin Margarete Ruthardt freut sich nach der gelungenen Aufführung über die "Talentschmiede" Sandra Caumanns und Anja Wegner, und die Spielleiterin leiht sich spontan Tim Erhardts schwarzen Hut - um denselben vor ihrem Ensemble zu ziehen.
Der Zuschauer mag dann angesichts der witzigen und sprühenden Vorstellung mit der ausgefeilten Licht- und Tontechnik unter Leitung von Alex Terrazzano schon gar nicht mehr über das antiquierte Frauenbild mäkeln, sondern freut sich mit den jungen Mädchen auf dem Sofa, den handelnden Figuren und dem ganzen Publikum über das schon sehnsüchtig erwartete Happyend - Jane Austen hat übrigens einen "Antrag" angenommen, die Zusage aber am nächsten Morgen wieder zurückgezogen!
Kurt Tucholsky hat mit dem Gedicht "Danach" (1930) in seiner unnachahmlichen Art geschildert, was nach dem Happyend folgt:
"Die Ehe war zum jrößten Teile
vabrühte Milch un Langeweile.
Und darum wird beim happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt."